
Ein stiller Tag, ein Jahrtausend im Herzen.
Heute ist Dienstag.
Neun Uhr morgens.
Ich sitze mit einer Tasse Kaffee auf dem Sofa, und das Haus ist still.
Zu still.
Eigentlich wÀre jetzt Gassi-Zeit.
Deine Leine hÀngt immer noch dort, wo sie immer hing.
Ich sehe sie, jedes Mal, wenn ich an der Garderobe vorbeigehe.
Und jedes Mal zieht sich mein Herz zusammen.
Ich rede trotzdem mit dir, wie jeden Morgen.
Sage dir âGuten Morgen, Merlinâ,
und manchmal bilde ich mir ein, ein leises GerĂ€usch zu hören â
so wie damals, wenn du dich gereckt und gestreckt hast,
bevor wir raus sind in die Welt.
Aber heute bin ich allein.
Iris arbeitet von 10 bis 18 Uhr,
und ich habe den Tag hier,
in diesem Haus,
in dem du so viele Jahre mit uns gelebt hast.
Die Stille ist laut geworden.
Sie sitzt in jeder Ecke,
in jedem Atemzug.
Ich höre sie zwischen den Sekunden,
wenn die Uhr tickt.
Und trotzdem ist sie nicht leer.
Sie ist voll von dir.
Ich denke an 15:30 Uhr.
Die Zeit, in der ich dich gehen lieĂ.
Ich sehe das Bild immer noch klar vor mir:
deine Augen, die Ruhe darin,
mein FlĂŒstern: âDu bist frei, mein Freund.â
Ich habe das Fenster geöffnet,
damit dein Weg leicht wird,
damit du weiĂt, dass du heimkehren darfst, wann immer du willst.
Heute werde ich es wieder öffnen.
Zur gleichen Zeit.
Ohne Worte, ohne Musik,
nur dieses eine Versprechen in der Stille:
Du bleibst, solange ich atme.
Es ist seltsam,
wie Liebe nach dem Tod nicht kleiner wird,
sondern wÀchst.
Wie sie sich verwandelt â
aus NĂ€he in Erinnerung,
aus Schmerz in Dankbarkeit.
Ich habe in dieser Woche gelernt,
dass Trauer nichts ist, das vergeht.
Sie verÀndert nur ihre Gestalt.
Mal flieĂt sie in TrĂ€nen,
mal bleibt sie still und warm,
wie ein Licht, das nicht mehr brennt,
aber den Raum trotzdem hell hÀlt.
Und genau so bist du jetzt da.
In diesem Licht.
In jeder Geschichte, die ich schreibe.
In jeder Zeile, die ich tippe,
wenn ich wieder einmal zu dir spreche,
in Gedanken, im Traum, im Wind.
Eine Woche ohne dich â
und doch mit dir.
FĂŒr immer.
đ
In Liebe, Berthold
